Gedanken zum 18. Sonntag im Jahreskreis (C) 2025
Bibelstellen:
Lesung aus dem Buch Kohelet:
Windhauch, Windhauch, sagte Kohélet,
Windhauch, Windhauch,
das ist alles Windhauch.
Denn es kommt vor,
dass ein Mensch,
dessen Besitz durch Wissen, Können und Erfolg erworben wurde,
ihn einem andern,
der sich nicht dafür angestrengt hat,
als dessen Anteil überlassen muss.
Auch das ist Windhauch
und etwas Schlimmes, das häufig vorkommt.
Was erhält der Mensch dann durch seinen ganzen Besitz
und durch das Gespinst seines Geistes,
für die er sich unter der Sonne anstrengt?
Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger
und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe.
Auch das ist Windhauch.
Evangelium
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas:
In jener Zeit
bat einer aus der Volksmenge Jesus:
Meister, sag meinem Bruder,
er soll das Erbe mit mir teilen!
Er erwiderte ihm: Mensch,
wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch eingesetzt?
Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht,
hütet euch vor jeder Art von Habgier!
Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin,
dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.
Und er erzählte ihnen folgendes Gleichnis:
Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte.
Da überlegte er bei sich selbst: Was soll ich tun?
Ich habe keinen Platz, wo ich meine Ernte unterbringen könnte.
Schließlich sagte er:
So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen
und größere bauen;
dort werde ich mein ganzes Getreide
und meine Vorräte unterbringen.
Dann werde ich zu meiner Seele sagen:
Seele, nun hast du einen großen Vorrat,
der für viele Jahre reicht.
Ruh dich aus, iss und trink
und freue dich!
Da sprach Gott zu ihm: Du Narr!
Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern.
Wem wird dann das gehören, was du angehäuft hast?
So geht es einem,
der nur für sich selbst Schätze sammelt,
aber bei Gott nicht reich ist.
Gedanken
Zwei ganz spannende biblische Texte stehen heute im Mittelpunkt. Zwei starke Stimmen – eine aus dem Alten, eine aus dem Neuen Testament. Zwei Männer sprechen, aus sehr unterschiedlicher Zeit, und doch stellen sie uns dieselbe Frage: Was bleibt? Was bleibt vom Leben, wenn man alles erreicht hat? Was bleibt, wenn ich mich abgesichert habe, wenn ich Erfolg hatte, wenn ich gelebt habe – aber doch nicht weiß, wofür eigentlich?
Da ist in der 1. Lesung Kohelet – der weise König, der alles ausprobiert hat. Und ich empfehle Ihnen sehr, wenn Sie Zeit haben einmal die erweiterte Langfassung dieser Lesung zu lesen. Das ist wirklich lesenswert!! Kohelet lebte, was viele heute anstreben: Erfolg, Besitz, Wissen, Lust, Unterhaltung. Er gönnte sich alles. Und dann steht da dieser Satz, der sich wie ein Refrain durch sein Buch zieht: „Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch.“
Und da ist im Evangelium der reiche Mann, der eine große Ernte einfährt, größere Scheunen baut, alles absichert, der denkt, alles kontrollieren zu können – und dann zu sich selbst sagt: „Ruh dich aus, iss und trink und freue dich!“ Aber dann heißt es: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir fordern.“
Zwei Bibelstellen – und ich denke zwei Gedanken für uns, die wir mitnehmen könnten
Erstens: Kontrolle oder Vertrauen
Wir leben in einer Zeit, in der der Wunsch nach Kontrolle über das Leben nahezu grenzenlos geworden ist. Alles soll planbar, steuerbar, vorhersehbar ja auch beeinflussbar und kontrollierbar sein. Planungen, Checklisten, Strategien, digitale Tools – wir organisieren unser Leben bis ins Detail. Selbst unsere Gefühle sind oft strategisch durchgetaktet. Und wir wollen möglichst alles in unserem Leben auch noch absichern und versichern. Wir versichern heute alles. Hausrat, Reise, Pension, Gesundheit, sogar unser Handy.
Doch das Leben lässt sich nicht vollständig kontrollieren – das zeigen uns Kohelet und Jesus mit großer Klarheit. Der Versuch, alles in der Hand zu haben und abzusichern, mündet – fast paradoxerweise – sogar oft in Unruhe, Erschöpfung, Leere. Kohelet spricht von schlaflosen Nächten trotz aller Erfolge. Und Jesus nennt den reichen Planer, der denkt, er habe alles im Griff, einen Narren.
Letzte Woche war ich in Abano in Italien, bei einer großen, sehr interessanten wissenschaftlichen Veranstaltung, dem Metaforum. Unter den vielen Vortragenden war auch Dr. Gunther Schmidt, ein Arzt und Volkswirt, der als Begründer des sogenannten hypno-systemischen Ansatzes gilt. Dieser Ansatz hat mittlerweile eine große Bedeutung erlangt und setzt einen sehr wichtigen Gegenimpuls zum vorherrschenden Glauben alles zu planen und zu kontrollieren zu können.
Der Ansatz zeigt klar auf, dass es schlicht unmöglich ist, alles mit dem Kopf und dem Willen steuern zu wollen, sondern dass es entscheidend ist unsere Aufmerksamkeit auch auf das Unwillkürliche, auf unsere inneren Ressourcen zu richten – auf Intuition, Resonanz, innere Führung. Schmidt beschreibt, dass wir Menschen aus vielen inneren Seiten bestehen – mit unterschiedlichen Stimmen, Bedürfnissen, Mustern. In unserer Kultur ist oft jener Anteil extrem dominant, der kontrollieren, planen, absichern will – weil wir eben so sozialisiert und erzogen wurden. Aber Gunther Schmidt macht Mut, sich auch mit anderen Anteilen zu verbinden: mit dem unwillentlichen Inneren in uns, mit dem inneren Spürsinn, mit unserer Körperwahrnehmung und vor allem mit der Weisheit unseres Körpers. Letztlich kann man sich das so wie einen Eisberg vorstellen. Bei einem Eisberg sind ja auch 90% unsichtbar unter dem Wasser und nur ein winzig kleiner Teil sichtbar über der Wasseroberfläche. Und es geht eben darum beide Teile – die die einem bewusst sind – also über Wasser – und die die nicht willentlich und eben unbewusst sind – also unter Wasser – zu nutzen und miteinander zu kombinieren.
Diese Form des „Selbst-zentrierten Geführtwerdens“ bedeutet nicht Passivität, sondern eine wache, aufmerksame Verbindung nach innen. Schmidt spricht davon, das Unbewusste als Verbündeten zu entdecken – nicht als Bedrohung. Dort, wo wir intuitiv, verbunden und nicht rein willentlich leben, da kommen wir auch in Kontakt mit einer tieferen Führung.
Diese Perspektive ist für viele überraschend hilfreich und oftmals heilsam: Ich muss nicht alles bewusst entscheiden. Ich darf mir selbst vertrauen. Ich darf mich führen lassen – von einer inneren Stimme, die nicht laut ist, aber verlässlich. Spirituell und theologisch gesprochen: vom Geist Gottes, der in mir wirkt, leise, flüsternd, aber kraftvoll.
Dieses Vertrauen ist kein blinder Sprung. Es ist eine bewusste Entscheidung, mich nicht zum Zentrum des Universums zu machen – sondern offen zu bleiben für die Möglichkeit, dass ich geführt bin. Aber auch offen zu bleiben für das was da ales mit mir und durch mich und rund um mich entsteht. Letztlich offen zu bleiben, dass Gott mich trägt. Dass ich nicht allein bin. Dass mein Leben Sinn hat – auch wenn ich ihn nicht jederzeit kontrollieren kann.
Vielleicht ist das der spirituelle und geistliche Weg in unserer Zeit: Weniger machen, mehr hören. Weniger absichern, mehr vertrauen. Nicht alles festhalten, sondern sich von innen her mit-leiten lassen – aus einer inneren, spirituellen Mitte heraus.
Zweitens: Vom Ende her denken
Sowohl Kohelet als auch Jesus stellen die Frage: „Was bleibt am Ende?“ Sie denken also vom Ende her quasi zurück in die Gegenwart.
Wir denken meist von einem zum nächsten – nach vorn. Von Aufgabe zur nächsten Aufgabe, von Projekt zu Projekt, von Tag zum nächsten Tag von der Woche zur nächsten Woche.
Aber was, wenn wir es einmal umdrehen würden? Was, wenn wir vom letzten Tag her denken? Welche Spuren werde ich hinterlassen haben? Wie werde ich sinnvoll und erfüllt gelebt haben? Im Coaching und in der Begleitung nennen wir das das sogenannte Backcasting-Vorgehen. Wir planen und gestalten unser Leben aus der Zukunft her gesehen – und nicht aus irgendeiner Zukunft, sondern aus einer erfüllten und sinnvollen Zukunft. Probieren Sie das einmal aus – wenn Sie wollen – es hat unglaubliche Auswirkungen auf die Gegenwart und auf die Entscheidungen die wir im Hier und Jetzt treffen.
Ich denke es ist auch eine spirituell sehr tiefgehende Übung: sich den eigenen letzten Tag vorstellen. Und dann zurückfragen: Was werde ich bis dahin alles gelebt haben? geliebt haben? vertraut haben?
–> Was können wir mitnehmen von den beiden Bibelstellen des heutigen Sonntags?
Kohelet nennt alles, was er gesammelt hat, am Ende „Windhauch“. Jesus nennt den reichen Mann „Narr“. Beide wollen uns nicht entmutigen – sie wollen uns ermutigen das Leben nicht als gerade Linie zu sehen, sondern als Weg, als Annäherung, als rhythmische Bewegung – immer weiter, suchend, vertrauend. Und sie wollen uns einladen „Lass dich führen. Du bist gehalten. Du musst nicht alles absichern – du bist bereits geborgen.“
Rainer Maria Rilke hat diesen Gedanken auf sehr poetische Weise ausgedrückt:
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.“
(c) Alexander Kaiser
