Gedanken zum 50-jährigen Jubiläum der Heiligsprechung Vinzenz Pallottis am 20.1.2013 (2.Sonntag i.J.)

Sep 1, 2020

Gedanken zum 50-jährigen Jubiläum der Heiligsprechung Vinzenz Pallottis am 20.1.2013 (2.Sonntag i.J.)

Wie definieren Sie denn Heiligkeit? Wann ist jemand für Sie ein Heiliger? Was zeichnet einen Heiligen aus?

Ich vermute einmal, dass viele von Ihnen jetzt antworten würden, dass ein Heiliger ein Mensch ist, der außergewöhnlich ist, ganz besonderes geleistet hat, oder dass ein Heiliger ein Mensch ist, der Gott besonders nah war und ist, der ein makelloses Leben geführt hat. Ich habe ein wenig recherchiert und bringe Ihnen einige Definitionen:

In Wikipedia heißt es dazu: Als Heilige oder Heiliger wird eine Persönlichkeit bezeichnet, die als der jeweiligen Gottheit besonders nahestehend beziehungsweise als ein in religiöser und ethischer Hinsicht vollkommener Mensch angesehen wird.

In einer anderen Quelle habe ich als Definition gefunden: heilig Definition: [1] göttlich, verehrungswürdig, sehr fromm, geweiht [2] unantastbar, Ehrfurcht einflößend, ernst [3] wahrhaftig, ehrlich

Im Religionsunterricht an Volksschulen – das weiß ich von meiner Frau 😉 – wird ein Heiliger den Kindern als ein Lichtbringer erklärt und definiert. Als ein Mensch, der Licht in die Welt bringt.

Und dann bin ich noch auf eine Definition gestoßen – hier heißt es: Heiligkeit hat nichts zu tun mit außergewöhnlichen Taten. Weder die Absonderlichkeit des Lebens noch weniger die Gabe der Wunder sind Zeichen und Maßstab wahrer Heiligkeit. Es gibt manchen Christen, der unbeachtet über die Erde geht, den man zur großen Überraschung im Paradies auf einem ebenso schönen Platz antreffen wird, wie ihn die berühmtesten Heiligen innehaben. Von wem glauben Sie, stammt diese Definition von Heiligkeit? Ja, genau richtig! Sie stammt von Vinzenz Pallotti! Und Pallotti geht noch weiter und sagt: Jede und jeder ist zum Apostel und zur Apostelin und zur Heiligkeit berufen; jede und jeder ist darin einmalig.

Wenn wir diesem Gedanken des heutigen „Jubilars“, des hl. Vinzenz Pallotti folgen, dann ist jeder und jede von uns hier in diesem Raum, hier im Gottesdienst ein potentieller Heiliger, eine potentielle Heilige. Versuchen Sie es doch einmal, wie sich das anhört und anfühlt, wenn sie ihren Namen nennen und davor „der Heilige“ oder „die Heilige“ setzen. Der heilige Alfred Gruber, der heilige Lorenz Lindner, der heilige Alexander Kaiser. Das klingt doch gut und fühlt sich gut an, oder?

Ich denke, mit seinem Verständnis von Heiligkeit ist Vinzenz Pallotti – wie mit so vielem anderen – seiner Zeit voraus gewesen und ein Vordenker würde man heute sagen. Heilig stammt nämlich – wie Sie wahrscheinlich wissen – wortgeschichtlich von Heil ab, und bedeutet eben heil werden oder auch „ganz“ werden. Wir finden das auch im Englischen wieder, das Englische holy, „heilig“ ist ganz eng verbunden mit whole also „ganz“. Wir sind also dann Heilige, wenn wir ganz, man könnte auch sagen vollständig sind und wenn wir heil sind. Mit anderen Worten: Jede und jeder von uns – Sie und ich – sind dann Heilige, wenn wir als Mensch heil und ganz derjenige oder diejenige sind, der wir wirklich und echt sind. Ohne uns zu verstellen, ohne „so zu tun als ob“, ohne „irgendein Theater zu spielen“ um andere zu beeindrucken. Auch hier können wir uns wieder an Vinzenz Pallotti halten, der sagt „Jeder Mensch ist ein einzigartiges Ebenbild Gottes mit vielfältigen Gaben, die wachsen, wenn sie belebt werden“. Die heutige Lesung aus dem Korintherbrief – die übrigens, die ganz normale Lesung des Tages ist – bringt auch diesen Gedanken Pallottis sehr schön zum Ausdruck.

Wann haben Sie das letzte Mal gespürt oder gemerkt, dass sie heil und ganz sind, wann haben sie sich das letzte Mal als ganz in ihrer Mitte, ganz als sie selber erlebt und gespürt? Das waren Momente der Heiligkeit. Ein kleiner Tipp um sich vielleicht leichter daran erinnern zu können: Ganzsein, Heilsein, Echtsein, also heilig sein, ist meist damit verbunden, dass man gelassen, ruhig und entspannt sind. Was hat es damals ermöglicht, dass sie heilig waren?

Dieses Ganzwerden und Heilwerden – oder anders gesagt das Heiligwerden – ist ein Prozess, es ist wenn sie so wollen Arbeit, manchmal harte Arbeit, es ist ein Weg mit Aufs und Abs.

Ein Gedicht von Rainer Maria Rilke, das mich seit einigen Monaten begleitet, beschreibt – so denke ich – diesen Weg des Ganzwerdens, den Weg zur Heiligkeit unübertroffen und wunderschön:

 

 

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehen.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen

Aber versuchen will ich ihn

Ich kreise um Gott den uralten Turm

Und ich kreise jahrtausendelang

Und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm

Oder ein großer Gesang

Dieses Gedicht von Rainer Maria Rilke spricht die tiefe Sehnsucht in uns Menschen an, nämlich der Mensch zu werden, als der wir gedacht sind – und es spricht zugleich auch ein „Unbehagen“ und eine tiefe Angst vieler Menschen an: die Vermutung, oder vielleicht sogar die Gewissheit, dass wir hier in unserem irdischen Leben, in dieser Welt diese Vollendung  vielleicht nicht erreichen.

Und noch etwas spricht dieses herrliche Gedicht an: das Kreisen, das Ringen um den wirklichen Weg und damit auch immer wieder das Scheitern und das Enttäuscht sein. Auch Vinzenz Pallottis Leben und Pallottis Weg war bei weitem keine – auf Wienerisch würden wir sagen – „gmahte Wiesn“. Uns wird aus dem Leben Pallottis berichtet, dass er eigentlich Mönch in einem strengen Orden werden wollte, dass er diesen Plan dann aber bald fallen lassen musste, weil er es gesundheitlich einfach nicht schaffte. Wir erfahren aus dem Leben Pallottis aber auch, dass er immer wieder Zeichen seines Körpers, seiner Gesundheit übersah und ignorierte, dass er sich zuviel vornahm, zu viel arbeitete, keine Ruhephasen gönnte, und dann immer wieder auch auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde und mancher Übertreibung Tribut zollen musste. Und wir wissen auch, dass es für Pallotti ein langer, mühsamer Kampf auf kirchenpolitischer Ebene war (nicht nur heute sind manche Entscheidungen und Impulse aus Rom oder von der Leitung unserer Diözese vorsichtig ausgedrückt „etwas seltsam“, das war schon früher so …), ein Kampf auch mit vielen Rückschlägen und Kompromissen, mit vielen Auf‘s und Ab‘s, bis seine Idee der Vereinigung des katholischen Apostolats auch kirchenrechtlich und kirchenpolitisch Fuß fassen konnte.

Kreisen, Ringen, Scheitern, Enttäuscht sein, das gehört zum Weg des Heiligwerdens, zum Weg des Echtwerdens offenbar untrennbar dazu. Das war bei Pallotti nicht anders, und ich finde, das macht ihn sympathisch, macht ihn zu einem sympathischen Heiligen.

Vinzenz Pallotti hatte am 9.Jänner 1835 eine Vision, aus der dann in einem langen Weg, die Unio die Vereinigung des katholischen Apostolats entstanden ist, so wie wir sie heute kennen. Ich denke, man könnte Pallottis Vision und Idee übertiteln mit „Eine Gemeinschaft der Heiligen“, im Sinn von eine Gemeinschaft der Menschen, die echt und ganz sind. Und dann passt auch wieder die Volksschul-Definition von Heiligen als „Lichtbringer“, die ich ihnen ganz am Beginn gebracht habe. Menschen, die echt, ganz und sie selber sind, strahlen Licht in unsere Welt.

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehen.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen

Aber versuchen will ich ihn

Ich kreise um Gott den uralten Turm

Und ich kreise jahrtausendelang

Und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm

Oder ein großer Gesang

Vielleicht wollen sie das eben begonnene neue Jahr 2013 ja für Sie zu einem Jahr der Heiligkeit zu einem hl Jahr für sie machen. Was brauchen sie um ganz, heil und echt zu werden?

(c) Dr. Alexander Kaiser